Kurze Geschichte der Onchozerkose

von Guido Kluxen

 

Entdeckung der Mikrofilarien von Onchocerca volvulus

Der britische Marinechirurg auf HMS Decoy, John O’Neill (1848-1913), wurde 1874 in Cape Coast Castle an der Goldküste/Ghana stationiert, wo ihm eine bei vielen Einheimischen der Westküste Afrikas häufige skabiesähnliche Hauterkrankung auffiel, die dort „craw-craw“ genannt wurde. Während der Glover-Expedition untersuchte er im „Addah Fort Hospital“ eine Reihe von Patienten mit diesen Veränderungen, die aus Papeln, Vesikeln und Pusteln bestanden. Den Inhalt der Pusteln und Vesikel untersuchte er unter dem Mikroskop, fand aber nur Leukozyten. In den Papeln aber entdeckte er eine Filarie, die er für den Erreger der Veränderungen hielt. Dazu hatte er eine Papel in einen Wassertropfen eingetaucht und unter dem Mikroskop beobachtet, dass eine Filarie aus dem Gewebe austrat und bald in dem Tropfen herum schwamm.
O’Neill beschrieb 1875 in „The Lancet“ sehr detailliert seine Beobachtungen (O’Neill 1875), woraus sich sicher zurück schließen lässt, dass es sich um eine onchozerkosebedingte Hautveränderung, eine „Gâle filarienne“, gehandelt hat. Der Erreger war eine Mikrofilarie von Onchocerca volvulus, wofür auch seine Originalzeichnung spricht (Abbildung 1).

 File written by Adobe Photoshop® 4.0Abbildung 1: Mikrofilarien von Onchocerca volvulus bei „craw-craw“ an der Goldküste/Ghana (Originalzeichnung von O’Neill aus The Lancet 1875). Es handelt sich um Mikrofilarien der Gattung Onchocerca. Ein wesentliches Merkmal dieser Abbildung ist, dass den Embryos die Hülle fehlt.

Entdeckung des adulten Wurmes von Onchocerca volvulus

1890 hatte ein nicht näher benannter deutscher Arzt und Missionar von der Goldküste/Ghana zwei etwa taubeneigroße Tumoren vom Skalp und Thoraxbereich zweier indigener Patienten exstirpiert. Als er bemerkte, dass die Gebilde Würmer enthielten, schickte er sie zur Identifizierung an Rudolf Leuckarts (Abbildung 2) Institut nach Leipzig. Leuckart fand zu einem Ball zusammengeknäuelte Nematodenwürmer, die Weibchen mehr als doppelt so lang wie die Männchen. Die Umgebung der Knotenhöhle war überladen mit Embryos. Leuckart publizierte die Entdeckung nicht, schickte aber Patrick Manson ein Präparat und eine eigene Beschreibung nach London. Manson berichtete daraufhin unter Berufung auf Leuckart über den Wurm auf einem Kongress in London 1891 [Manson 1893 a] und in einem Kapitel des tropenmedizinischen Lehrbuches „Hygiene and diseases of warm climates“ [Manson 1893 b]. Als Jahr der Entdeckung des menschenpathogenen Filarienwurmes Onchocerca volvulus wird seitdem 1891 oder 1893 angegeben. Von Railliet und Henry (1910) kommt die Bezeichnung Onchocerca volvulus.

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Abbildung 2: Rudolf Leuckart (1822-1898), Zoologe und Helminthologe in Leipzig,
auf den die Erstbeschreibung von Onchocerca volvulus zurückgeht

Onchocerca volvulus:
Das ist der sich drehende Hakenschwanz

Der Name bedeutet also so viel wie: der sich drehende Hakenschwanz. Er setzt sich aus einer Kombination der griechischen Wörter „onchos“ und „kerkos“ und dem Lateinischen „volvulus“ zusammen.

volvo, volvere, volvo, (lateinisch): rollen, drehen
onchos (griech.): Haken
kerkos, cercos (griech.): Schwanz

Symptomentrias nach Robles

Die Onchozerkose wurde zunächst für eine harmlose Filariose gehalten, die ein paar Knoten unter der Haut hervorrief. Das änderte sich, als Rodolfo Robles 1915 den Erreger auch in Guatemala, also außerhalb Afrikas, entdeckte [Robles 1917, Robles 1919] und die Trias aufstellte, die in Süd- und Mittelamerika auch heute noch die Bezeichnung „Morbus Robles“ führt:
1. amerikanische Onchozerkose
2. Erisipela de la costa
3. Augenbeteiligung: Keratitis und Uveitis [Pacheco Luna 1918]
Der Augenarzt Pacheco Luna half Robles bei der Erhebung der Augenbefunde.

Dem als Landarzt in Guatemala tätigen Robles (Abbildung 3) brachte man 1915 eine Frau aus den Kaffeeplantagen des Vulkangebirges mit rezidivierenden Gesichtsschwellungen, die einem Erysipel ähnlich erschienen und deren Ursache man sich zunächst nicht erklären konnte (Abbildung 4). Es war eine allergische Reaktion auf am Kopf befindliche Onchozerkome, die man der Zeit entsprechend noch für toxisch und lange Zeit für spezifisch mittelamerikanisch hielt, doch genau so später von Hissette in Afrika beobachtet wurde [Hissette 1933]. Die Ursache liegt an einer Reaktion gegen die in den Würmern enthaltenen Endobakterien, die erst 1990 entdeckt wurden und Wolbachien genannt werden. Diese Reaktion tritt auf, sobald die Endobakterien nach Absterben des Wurmes vom Immunsystem erkannt werden [Saint André et al. 2002].
Die amerikanische Onchozerkose trat in den Kaffeeplantagen einer gewissen Höhenlage auf. Dort – so vermutete schon Robles –, wo kleine schwarze Fliegen so heftig beißen und den Wurm übertragen. Doch er ging dieser Frage nicht klärend nach.

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Abbildung 3: Rodolfo Robles (Guatemala City) entdeckte die amerikanische Onchozerkose 1916 (~ 1919 aus einer Veröffentlichung in einer Tageszeitung)

 

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Abbildung 4: Akutes Stadium des Küstenerysipels, Gesichtsschwellung. Die Aufnahme entstand, als die Ursache noch unbekannt war in Guatemala [Robles 1919]

Emile Brumpt (Abbildung 5), Parasitologe in Paris und Studienkollege von Rodolfo Robles, unterschied zwischen dem in Mittelamerika vorkommenden Erreger Onchocerca caecutiens, der eine Augenbeteiligung hervorrufen kann, und dem afrikanischen Erreger Onchocerca volvulus, bei dem zunächst – vor Hissettes Entdeckung – keine Augenbeteiligung angenommen wurde [Brumpt 1919]. Beide Erreger sind jedoch identisch.

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Abbildung 5: Émile Brumpt (1877-1951), Parasitologe in Paris und Studienkollege von Rodolfo Robles, benennt den in Guatemala entdeckten Erreger der mit einer Augenbeteiligung einhergehenden Onchozerkose-Erkrankung als Onchocerca caecutiens.

Die klinische Bedeutung der Onchozerkose nahm weiter zu, als Montpellier und LaCroix 1920 die „Gâle filarienne“ (Abbildung 6) und weitere Hautveränderungen der Onchozerkose zuordnen konnten, und es wurde klar, dass sich die Mikrofilarien von Onchcerca volvulus in der Haut aufhielten, und nicht – wie man bis dahin noch geglaubt hatte – im Blut zu suchen sind.
Montpellier und Lacroix [1920] beschrieben in Algier bei afrikanischen Soldaten aus Westafrika die „Gâle filarienne“ („filarial itch“) als eine dermale Manifestation der Onchozerkose (Abbildung 6) und hielten sie für die gleiche Veränderung „craw-craw“ von John O’Neill [1875] in Ghana/Goldküste. Brumpt [1920] widersprach dieser Meinung vehement.

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Abbildung 6: Gâle filarienne (Originalfoto aus Montpellier und Lacroix 1920), nach einer Beobachtung in Algier bei afrikanischen Soldaten aus Westafrika

 

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Abbildung 7: Donald Breadalbane Blacklock (1879-1955), geboren in Schottland, entdeckte, dass Simulium damnosum Theobald der Überträger der Onchozerkose ist.

Simulium damnosum Theobald:
Vektor der Onchozerkose

Als Vektor der Onchozerkose wurde die schwarze Fliege (Blackfly) Simulium damnosum Theobald 1925 durch Donald Breadalbane Blacklock (Abbildung 7) in Sierra Leone identifiziert [Blacklock 1926, Blacklock 1927]:
Blacklock begann 1923 mit seinen Untersuchungen über die Übertragung der Onchozerkose in Sierra Leone. Da sich die Mikrofilarien nicht im Blut, sondern in der Haut befanden, schloss er, dass es einen Arthropoden geben müsse, der – um den Wurm zu übertragen – die Haut durchdringen kann. Zunächst achtete er auf die Bodenmade Auchmeromyia luteola, die in allen indigenen Haushalten vorkam, fand aber keinerlei Anzeichen des Parasiten. Im Dezember 1923 und Januar 1924 beobachtete er, dass Simulium damnosum in einem endemischen Onchozerkose-Gebiet die Menschen aus den Dörfern am Fluss biss. Die kleine Fliege war von dem Entomologen Frederic Vincent Theobald (1868-1930) erstmals 1903 beschrieben und benannt worden, als er die ihm nach England zugeschickte Sammlung toter Insekten untersuchte, die ihm die in Uganda unter Castellani tätige Schlafkrankheitskommission zugeschickt hatte. Theobald hatte intuitiv eine die Verdammnis androhende Bezeichnung für diese Fliege gefunden, ohne dass er wissen konnte, was sie eigentlich bewirkte. Blacklock sah, dass das Insekt sehr langsam Blut saugte, was ihn in der Idee bestärkte, dass es einen schweren Schaden hervorzurufen schien. Er gewann 100 Proben und suchte die Larven im Fliegendarm, fand aber nichts und ließ deshalb von weiteren Recherchen an Simulium damnosum ab. 1925 führte er eine gleiche Untersuchung in einem anderen Dorf nochmals durch, dieses Mal mit Erfolg. 780 Fliegen wurden eingefangen, die ihnen exponierte Jungen gestochen hatten. 2,6 % dieser Insekten enthielten nun Larven im Darm, die morphologisch mit den Mikrofilarien von Onchocerca volvulus identisch waren. Blacklock ließ daraufhin zwei Onchozerkosekranke, die sonst keine anderen Filarien hatten, von den Fliegen stechen und fand nun in 17 % der Simulien Mikrofilarien im Intestinaltrakt. Wurde den Fliegen nun die Möglichkeit geboten, in einem 4 Inch breiten Hautregion einer Körperregion mit vielen Onchozerkomen zu beißen – in Sierra Leone war dieses hauptsächlich die Trochanter-Region –, während die übrige Körperoberfläche mit Kleidung bedeckt gehalten wurde, infizierten sich 80 % der Insekten. Die Entwicklung zur L3-Larve in der Fliege zeigt Abbildung 8.

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Abbildung 8: Schema der Larvenentwicklung von Onchocerca volvulus in der Kriebelmücke Simulium damnosum Theobald in einer Originalzeichnung von Blacklock [1927]. I und II sind Mikrofilarien aus der Haut und im Mitteldarm der Kriebelmücke; III und IV (im Thoraxmuskel sich entwickelnd, „en saucisse“ (Wurstform), IV und V im Original von Blacklock (Wanderung der Larve in den Kopf und Labium).
A = Antenne, B.C. = Blutkoagel, T.M. = Thoraxmuskel, L = Labium, Le = Labium-Epipharynx, H = Hypopharynx, M = Mandibel, Mx. = Maxilla, Mx.P. = Maxilla-Fühler. Heute spricht man von Larvenentwicklung L1-L3 mit zwei Häutungen, L3 ist invasionsfähig.

 

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Abbildung 9: Simulium damnosum Theobald (Photo: Hj. Trojan), erstmals beschrieben von dem Entomologen Frederic Vincent Theobald (1868-1930) unter den von der Schlafkrankheitskommission unter Aldo Castellani aus Uganda zugesendeten Kollektionen an toten Insekten [Theobald 1903].

Mittlerweile waren einige Tropenmediziner – darunter Fülleborn in Hamburg [Fülleborn 1924] und Ouzilleau in Brazzaville [Ouzilleau et al. 1921] – der Frage nachgegangen, wieso es bei gleichem Erreger in Mittelamerika Augenbeteiligungen gibt und in Afrika nicht. Ouzilleau stellte in einem Dorf bei Brazzaville 1921 bei 27 Onchozerkosekranken nur bei einem Patienten eine Keratitis fest. Diese Mitteilung blieb so gut wie unbeachtet und es bestand der Meinung von Brumpt folgend die Ansicht, dass der afrikanische Erreger keine Augenbeteiligung hervorruft.

Jean Hissette entdeckt Tausende von Flussblinden
am Sankuru im Belgisch-Kongo

In diese Situation platzte die Entdeckung von Tausenden von Flussblinden durch Jean Hissette am Sankuru im Belgisch-Kongo 1930 (Abbildung 10). Hissette veröffentlichte 1932 eine umfangreiche wissenschaftliche Arbeit, die auch die Klärung des Pathomechanismus enthielt: Mikrofilarien in den einzelnen Augengeweben können die uveitischen Entzündungen hervorrufen [Hissette 1932]. Hissette hatte ein enukleiertes Auge eines Onchozerkosekranken vom Sankuru mit nach Belgien gebracht und dort detailliert aufgearbeitet. Er fand Mikrofilarien von Onchocerca volvulus in der Hornhaut, Iris und Chorioidea (Abbildung 11).

Abbildung 10: Einige der erstentdeckten Flussblinden von Jean Hissette,
Original aus seinen Unterlagen von 1930/31.
Die Patienten mit Verband hatte er gerade an Katarakten operiert.

Abbildung 11: Histologie aus einem enuklerierten Auge eines an Onchozerkose Erblindeten mit Mikrofilarien (langgestreckt schwarz) im Bereich der Chorioidea und Sklera, Original aus Hissette’s Unterlagen.

  

              File written by Adobe Photoshop® 4.0Abbildung 12: Flussregionen im Belgisch-Kongo,
in denen Hissette 1930 und 1932 die Flussblinden fand